The Walking Dead – wie Zombies meine besten Freunde wurden
Eine Serie über wandelnde Untote. Dass so etwas mal meine Lieblingsserie werden könnte, hätte ich selbst vor wenigen Jahren wohl für zumindest sehr unwahrscheinlich gehalten. Warum ist das so? Das versuche ich hier mal zu ergründen.
Also, eine Ebene darin ist sicher, dass es so eigenartig heilsam ist, wenn das Ende der Welt dann einfach mal eingetreten und diese dünne Schicht, die wir Zivilisation nennen, einfach verpufft ist. Keine Sorgen mehr über den Klimawandel, die Kriege – eine gründlichere Pandemie als das vergleichsweise drollige Corona hat alles zunichtegemacht. Endlich. Puh.
Auch interessant: diversity. Wenn die Welt untergegangen ist, ist es wirklich sch***egal, ob du schwul oder schwarz bist. Alle kämpfen gemeinsam (oder gegeneinander) ums nackte Überleben. Diversity ist ja etwas, was inzwischen in vielen Serien thematisiert wird (werden soll) – aber anderswo ist das immer sooo doll gewollt. Und Netflix? Übertreibts fast, finde ich. Dort könnte man meinen, alle sind ganz schlimm doll bisexuell und haben immer ganz schlimm doll viel Sex. Ständig und überall. Während man in den Neunzigern in dem Moment, wo die Kamera während des Kusses wegschwenkte, noch dachte „Och, zeigt doch ruhig noch ein bisschen mehr…“, denke ich jetzt oft… „Aufhören! Es ist genug. Die neun Minuten Sex waren jetzt weder für die Charakterzeichnung noch für die Handlung noch für irgendetwas anderes wichtig – danke, reicht.“
Okay, also Punkt eins: erholsamer Weltuntergang, Punkt zwei: diversity mal in authentischer und glaubwürdiger. Punkt drei: die Entwicklung der Hauptfiguren. Keine:r ist so richtig gut, keine:r ist so richtig böse – das macht die Handlungsstränge schonmal interessanter, lässt plot twists zu, die überraschen können. Zudem wartet The Walking Dead mit einigen starken Frauenrollen auf. Eine, die ich richtig klasse finde, ist Carol. Es ist die erste und einzige Frauenfigur, bei der ich erlebt habe, dass ihr Altern als etwas Positives dargestellt wird. Mal im Ernst: zeigt mir mal e i n e Frau, die im Film alt und dadurch cool geworden ist! Solch weibliche Rollen lassen sich sicher an einer Hand abzählen – an einer Hand, an der ein Walker genagt hat. Kurzum: Carol beginnt als zittrig-ängstliche Frau, die von ihrem Mann verprügelt wird. Und wird nach und nach, während ihr Haar immer weißer, ihre Haut immer faltiger wird, ruhiger, mutiger, gelassener und gleichzeitig draufgängerischer. Einfach stark, wirklich.
Über Daryl und Rick müssen wir kaum sprechen, die sind einfach großartig. Und man wünscht sich klammheimlich, bei Daryl hinten auf dem Motorrad zu sitzen, durch die Kulisse der zerstörten Städte zu rasen und ein bis dahin ungeahntes Freiheitsgefühl zu empfinden. Apropos Kulisse: die Zombies werden im Laufe der 11 (!) Staffeln immer unwichtiger, mehr und mehr zu einem Hintergrund, vor dem die Menschen nicht nur kämpfen, sondern auch beginnen eine Art Neu-Mittelalter aufzubauen – und hier werden dann Prepperträume wahr: Getreidemühlen, Gemüseanbau, Pferde statt Autos. Seltsam schön.
Zudem entwickelt die Serie einen eigenen Humor, der sich schwer beschreiben lässt. Die Untoten sind voll eklig und im Grunde auch ziemlich bescheuert – das wussten wohl auch die Drehbuchautoren und schrieben Szenen, deren Komik sich nicht schildern lässt, dafür muss man einfach „drin“ sein.
Übrigens bleibt die Welt in The Walking Dead (Achtung: Spoiler!) konsequent kaputt. Weder wird der Ursprung der Pandemie erklärt noch wird ein Serum entwickelt, nix. Auch ein Alleinstellungsmerkmal, finde ich. Kein Ende gut, alles gut. Das muss man erstmal bringen… Aber klar: so lässt sich natürlich dann auch sequel für sequel drehen und die Gelddruckmaschine bleibt an.
Die Tage war ich jedenfalls auf einem Gartenfest, allerdings überhaupt nicht in der Stimmung zu socialisen und für meine Verhältnisse ungewöhnlich still. Als dann ein etwas unbeholfener Mensch mit Bier in der Hand mich mit „Sag mal, redest du auch?“ ansprach, dachte ich jedenfalls nur: „Ich will nach Hause zu meinen Zombies. Ich möchte jetzt lieber mit Zombies zusammen sein.“ Spricht das jetzt für diese Serie oder gegen mich? Womöglich beides.
Falls ich Euch jetzt infiziert haben sollte: Viel Spaß! Aber Vorsicht: Staffel 7, Folge 1 ist so grausam, dass sie sogar unter eingefleischten Fans umstritten ist. Negan bleibt aber nicht so brutal. Danach wird es also wieder nur wie gewohnt grausam. Nur ein bisschen, so mit fliegendem Gedärm und… Warum gucke ich das nochmal?