Silent Reading – Gemeinsam allein!
„Hast du schon weitergelesen?“, erkundigt sich meine Kollegin am Morgen im Büro mit Blick auf den dicken Fantasy-Wälzer auf meinem Schreibtisch.
Ich muss dann meist kleinlaut eingestehen, dass ich es schon wieder nicht geschafft habe mich hinzusetzen und ein paar Seiten zu lesen. Mit „nicht geschafft“ meine ich nicht nur die Zeit, die mir nicht bleibt, wenn nach der Arbeit noch Haushalt und Kochen auf mich warten. Oder Beziehungen, die gepflegt werden wollen. Ich meine damit auch, dass ich abends oft zu erschöpft bin und mein Kopf gar keine Lust mehr hat, etwas in sich aufzunehmen oder sich zu konzentrieren. Da greife ich doch lieber zur Fernbedienung und lasse mich berieseln.
Aber dieses schlechte Gewissen bleibt. Denn das Buch ist wirklich spannend und die Charaktere sind mir ans Herz gewachsen – was also hält mich ab?
Vielleicht liegt es an den vielen Ablenkungen in der Wohnung? Fernseher, Switch und die Häkel-Sachen liegen in greifbarer Nähe und das Handy nimmt man auch alle drei Sekunden in die Hand.
Andersherum gibt es aber auch Abende, an denen ich mich zum Lesen hinsetze und plötzlich mitten in der Nacht wie aus einem Fiebertraum hochschrecke, da ich mich nicht von der Geschichte losreißen konnte. Dann fühlt man sich, als wäre man gerade aus einem Koma erwacht und ist völlig gerädert. Ich scheine den perfekten Mittelweg einfach noch nicht gefunden zu haben…
Wie es scheint, geht es vielen Menschen so: Die Lust am Lesen ist da, aber die Motivation für den Lesestart fehlt. Das dürfte auch der Grund sein, warum sich der Trend „Silent Reading“ (Stilles Lesen) so verbreitet hat. Hier lautet das Motto: Alleine – aber zusammen! Jeder bringt sein Buch mit und man setzt sich zum Lesen zusammen, auch wenn dabei möglichst nicht geredet wird.
Aber beim Silent Reading geht es letztlich um viel mehr als nur ums gemeinsame Schweigen. Es ist ein Gegenentwurf zu der permanenten Ablenkung unserer Zeit: kein Handy, kein Multitasking, kein ständiges Reagieren auf Benachrichtigungen. Stattdessen ein klarer Rahmen, der das Lesen wieder zur bewussten Tätigkeit macht. Man teilt einen Moment der Ruhe, ohne ihn mit Worten füllen zu müssen. So wird Lesen nicht nur zur privaten Flucht in eine andere Welt, sondern auch zu einem kleinen Ritual, das Menschen zusammenbringt.
Ab November 2025 möchten auch wir von der Stadtbibliothek Herford verschiedenste Leser zusammenbringen und Euch einen entspannten und ruhigen Abend zum Lesen bieten.
Kommt vorbei und lasst uns gemeinsam allein lesen!