Hilfe, dem Kind ist langweilig!

In der pädagogischen Arbeit begegnet einem ja durchaus so allerhand. Und auch wenn ich mich kategorisch gegen Allgemeinplätze, wie „die Helikoptereltern“ und die „moderne Erziehung“ etc. wehre, kommt jetzt das berühmte klitzekleine Aber:

Ein Phänomen, das mich jüngst nach einem Workshop nachdenklich stimmte, war das Verhalten eines jungen, ich sage mal, Fast-Pubertiers. Okay – er wusste zu Workshop-Beginn nicht einmal, zu was genau er angemeldet worden war (!). Nichtsdestotrotz fiel schnell auf, dass er zu Dingen und Aktionen, die er uninteressant fand, sofort laut „Das ist langweilig!“ sagte oder „Können wir jetzt was Anderes machen?“ und sich damit obendrein völlig im Recht wähnte. Ähnliches Verhalten hatte ich im Rahmen meiner Arbeit auch schon bei anderen Kids beobachtet… Habe ich hier das Resultat bedürfnisorientierter Erziehung vor mir?

Hand aufs Herz: ich selbst war ein „aufgewecktes“ Kind und tatsächlich ein sehr rebellischer Teenager, a b e r ich hatte immer Respekt. Respekt vor Lehrkräften, Respekt allgemein. Und das fehlte mir im vorliegenden Fall. Ich glaube, ich hätte bei einer Museumsführung nicht laut rausposaunt, dass ich das jetzt voll langweilig finde. Oder?

Und überhaupt: Wann ist denn bitte schön unser Vergnügen zum Maß aller Dinge geworden? Diese Frage stelle ich mir tatsächlich. Wenn wir unsere Kinder permanent bespaßen oder mit Fernsehen absichtlich ruhigstellen (habe ich beides schon erlebt), weil Langeweile etwas ganz Schlimmes ist – was werden das denn dann für Erwachsene? So funktioniert die Welt doch nicht. Auch nicht die Welt, in der wir selbst klammheimlich dem nächsten Dopamin-Ausstoß durch Likes bei Social Media hinterherjagen. Davor oder danach wenden wir uns ja in der Regel wieder einer Tätigkeit zu. Unter Umständen einer, die wir zwar nicht spannend finden, die aber letztlich getan werden muss. Disziplin ist da gefragt. Auch so ein Wort wie Respekt.

Karl Marx schrieb einst (na ja, so sinngemäß), das Wesen des Menschen sei Arbeit, er sei von Natur aus produktiv. Tatsächlich beobachte ich bei meinen eigenen Kindern ein Interesse an echten Tätigkeiten (John Dewey lässt grüßen), sei es das Helfen bei Arbeiten im Garten oder in der Küche – und ihr Spielen ist meist die Imitation echter Arbeit. Zum Beispiel muss unser Hund häufig zur kleinen selbsternannten Tierärztin und sich einer (recht fragwürdigen) Behandlung unterziehen.

Eines Tages jedenfalls stand mein Schulkind mit den Worten „Mir ist langweilig!“ vor mir, die hatte es offensichtlich gerade von der Peergroup gelernt. Meine Antwort, dass „Langeweile vor der Kreativität“ kommt, quittierte sie zwar mit einem verächtlich-beleidigten Stöhnen, bestätigte dies aber kurze Zeit später durch reges Treiben im Kinderzimmer dann doch.

Langeweile ist übrigens bei Suchtkranken häufig der größte Trigger, das Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein und Aushalten, dass einfach mal nichts Tolles passiert. Sind einige unserer Kids nun also inzwischen vergnügungssüchtig? Und wir selbst im Grunde auch?

Vor diesem Hintergrund betrachte ich auch die sogenannte Gamification im Bildungsbereich manchmal mit Vorbehalten. Lerninhalte sollen locker-flockig-fröhlich mit spielerischen Elementen aufbereitet werden. Aber Bildungs- und Lernprozesse können gar nicht ständig spaßig sein. Nicht, wenn Bildung und Erziehung weiterhin mündige Bürger:innen zum Ziel haben sollen…

Nehmen wir hier doch mal Platons Höhlengleichnis: Der Bildungsweg an sich ist beschwerlich, die daraus folgende Erkenntnis zuweilen schmerzlich. Daran wird sich nichts ändern. Ich kann Menschen in Lernprozessen begleiten, das ist letztlich (besagtes Gleichnis bis zum Ende abgeschritten) ja sogar meine Aufgabe: mich den in der Höhle Verbliebenen wieder zuzuwenden. Aber gehen müssen sie selbst. Mit Disziplin auf dem Weg und Respekt vor den Begleiter:innen. Jawohl.

Oder lautet das moderne Höhlengleichnis jetzt: „Ey, da war so eine, die wollte, dass ich rausgehe und was lerne, das war aber voll langweilig, deswegen bin ich in der Höhle geblieben und hab weiter die coolen Schattenbilder gestreamt. Draußen ist eh uncool.“?

Keinesfalls will ich hier jetzt eine Boomer-vs.-Gen Z-Diskussion oder ähnliches lostreten. Empirisch sind nämlich keine der Verallgemeinerungen, die die eine Generation über die andere zu wissen meint, haltbar. Die Gen Z ist nicht fauler als andere, die Boomer verhalten sich nicht per se unökologischer usw. – ich frage mich nur ernsthaft, was aus Menschlein wird, deren (sekundäre) Bedürfnisse so wahnsinnig wichtig genommen werden.

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